Beim hier vorgestellten Buch geht es einmal in eine etwas andere Richtung. Es ist ein theologisches bzw. geschichtliches Buch. Der niederländische Autor Paul Verhoeven versuchte mit dem Buch Jesus – Die Geschichte eines Menschen, das Leben des historischen Jesus nachzuerzählen und seine Interpretation der Ereignisse zu vermitteln.
Manche von Ihnen werden sich beim Namen des Autor vielleicht denken, dass er irgendwie bekannt vorkommt. Oder diejenigen, die den Namen sofort erkannt und zugeordnet haben, werden sich vielleicht wundern, warum ich ihn im ersten Absatz als Autor bezeichnet habe. Es handelt sich hier in der Tat um den bekannten Regisseur Paul Verhoeven, der mit Filmen wie Basic Instinct oder RoboCop berühmt geworden ist.

Paul Verhoeven beschäftigte sich jahrzehntelang mit Jesus
Nun stellt sich natürlich die Frage, warum Verhoeven als Filmregisseur (dazu noch als nicht-religiöser) ein Buch über Jesus geschrieben hat. Ursprünglich hatte er vor, einen Film über Jesus zu machen. Dazu arbeitete er sich tief in die Materie ein und wurde sogar als einziger Nicht-Theologe in das sogenannte Jesus-Seminar eingeladen. Verhoeven war mit den anderen Filmen über Jesus (beispielsweise Die Passion Christi oder Jesus von Nazareth) unzufrieden und glaubte, eine bessere Erzählung finden zu können.
Der Film wurde aber nie gedreht und nach Jahrzehnten der Beschäftigung mit dem Thema kam Paul Verhoeven zu dem Entschluss, dass ein Buch besser geeignet wäre, um seine Erkenntnisse und Interpretation der Öffentlichkeit zu präsentieren. Heraus kam das im Jahre 2009 erschienene Jesus – Die Geschichte eines Menschen.
Der Untertitel – Die Geschichte eines Menschen – gibt bereits einen Hinweise darauf, wie der Autor Jesus ansieht. Nicht als Sohn Gottes, sondern als Menschen, der trotzdem ein interessantes Leben hatte, und der bis heute eine der berühmtesten historischen Personen der Geschichte ist. Für Hardcore-Theologen und bibeltreue Christen ist das Buch vermutlich aufgrund des Blutdrucks eher wenig empfehlenswert. Ich würde es trotzdem jedem empfehlen, der seinen Horizont erweitern will und einen anderen Blickwinkel auf den historischen Jesus ergattern will.
An die folgenden Sichtweisen, auf denen die Theologie der Kirche beruht, glaubt Verhoeven nicht:
- unbefleckte Empfängnis
- Jesus als Sohn Gottes
- Brotvermehrung und andere Wunder
- Wiederauferstehung von den Toten
- die Geschichte von Judas als dem Verräter
- und einige andere, die der Kirche sehr wichtig sind
Verhoeven bestreitet hingegen nicht, dass Jesus …
- wirklich gelebt hat
- vom kommenden Königreich Gottes überzeugt war und darüber gepredigt hat
- einige Anhänger hatte (die Jünger und auch andere)
- von den Obrigkeiten kritisch beäugt und schließlich verfolgt wurde
- verraten wurde
- verhaftet und anschließend gekreuzigt wurde
Jesus – Die Geschichte eines Menschen bietet eine alternative Sichtweise
Beschäftigen wir uns aber einmal mit den Punkten, an die Paul Verhoeven nicht glaubt. Er sagt in diesem Buch nicht einfach „Hat nie stattgefunden. Punkt.“ Stattdessen ist er der Meinung, dass etwas anderes stattdessen stattgefunden hat, was einen großen Eindruck auf seine Anhänger und andere Beobachter gemacht hat.
Nehmen wir beispielsweise einmal das Wunder der Brotvermehrung bzw. die Speisung der Fünftausend. Der Autor glaubt nicht an solche Wunder. Er glaubt aber, dass Jesus trotzdem einige Anhänger und Interessierte um sich versammelt hatte, vor diesen predigte, die Menge schließlich gemeinsam speiste (manche seiner Jünger waren Fischer und hätten daher größere Mengen an Fisch besorgen können) und die Menge so beeindruckt war, dass sie Jesus zum König von Israel erklären wollte. Die Geschichten in den Evangelien sind dann das, was der Autor im Buch häufig einen „christlichen Spin“ nennt.
Verhoeven erklärt auch immer, warum die Evangelien seiner Meinung nach auf diese Weise geschrieben wurden. Zur Zeit des Schreibens stand die Region noch immer unter der Herrschaft des römischen Reichs. Die ersten christlichen Gemeinden hatten es nicht einfach und wurden häufig verfolgt. Hätten die Evangelisten Jesus als den dargestellt, als den Verhoeven selbst ihn sieht – als revolutionären Charakter und Aufständischer, der sich gegen die römische Herrschaft und die jüdische Priesterkaste auflehnte – wäre das für die christlichen Gemeinden zu dieser Zeit äußerst gefährlich gewesen und die Verfolgung hätte ein ganz neues Maß erreicht. Die Evangelisten musste die wahren Ereignisse also politisch Entschärfen und haben – wie es Regisseure wie Verhoeven machen – ihren eigenen Spin hinzugefügt.
Viele Fußnoten
Insgesamt habe ich Jesus – Die Geschichte eines Menschen als sehr spannendes Buch empfunden und eine ganz neue Sichtweise gelernt. Trotzdem ist das Buch an einigen Stellen auch etwas schwer zu lesen. Das liegt nicht an der Sprache oder den Behauptungen. Es liegt daran, dass Paul Verhoeven mit sehr vielen Fußnoten arbeitet. Diese Fußnoten befinden sich nicht auf der gleichen Seite unterhalb des Texts, sondern (zumindest in meiner Aufgabe) hinten am Ende des Buchs. Daher muss man beim Lesen immer einen Finger hinten im Buch haben und oft zwischen dem Text und den Fußnoten hin und her blättern. Wenn es auf einer Seite sieben oder acht Fußnoten gibt, kann das etwas ermüdend sein.
Trotzdem kann ich das Buch nur empfehlen. Sowohl an Christen, die eine andere Sichtweise lesen und sich etwas außerhalb des theologischen Tellerrandes bewegen wollen. Aber auch an nicht- oder wenig Religiöse, die trotzdem mehr über die historische Figur Jesus erfahren wollen und sich dafür interessieren, wie das Christentum eigentlich entstanden ist.
